Stereo-Nahaufnahmen mit der Belplasca
Dr. Werner Pietsch

In der gesamten Stereoskopie sind die Nahaufnahmen am raumwirksamsten. Die Wahrnehmung feinster Tiefenunterschiede und alle nur dem Raumbild eigenen charakteristischen Merkmale wie die Wiedergabe des Glanzes sind hier besonders stark ausgeprägt. Es ist deshalb zu verstehen, daß die Besitzer einer Belplasca auf die Fertigung des bereits im Prospekt angekündigten Vorsatzgerätes für Nahaufnahmen mit großer Ungeduld gewartet haben. Nun ist es so weit, der Keilvorsatz ist bereits in der Fertigung und die Lieferung wird in Kürze anlaufen
.
Warum ist überhaupt für Nahaufnahmen mit der Belplasca ein Vorsatzgerät erforderlich? Die Antwort auf diese Frage gibt uns die Abb. 1.

Die Skizze zeigt in einem ungefähren Abbildungsmaßstab 0,5 schematisch die Anordnung der beiden Stereoobjektive Ol und Or vor den beiden Bildfenstern Bl und Br wie sie der Belplascakonstruktion entspricht. Um die richtige stereoskopische Rahmenlage der beiden Halbbilder in den Belplascadiarähmchen zu erzielen, haben die Halbbildfenster Bl und Br einen etwas größeren Abstand voneinander, als die Objektive Ol und Or. Ein von dem unendlich fernen Punkt F ausgehender, senkrecht durch den Mittelpunkt des Objektivs Or laufender zentraler Bildstrahl Sr trifft auf die Bildebene E unmittelbar links neben der Mitte des Halbbildfensters Br . Ein zweiter von dem Nahpunkt N ausgehender ebenfalls durch den Mittelpunkt des Objektivs Or laufender Bildstrahl Sr trifft die Bildebene E dicht neben dem rechten Rand des Halbbildfensters Br. Es tritt also bei der Abbildung nahe liegender Objekte eine Bildverschiebung nach außen ein, die um so größer wird, je kleiner die Objektentfernung ist. Der Bildinhalt der beiden stereoskopischen Halbbilder ist jetzt nicht mehr identisch und es ergibt sich die Notwendigkeit, die Divergenz der Bildstrahlen Sl und Sr aufzuheben. Dies erreicht man durch Vorschalten von je einem Glaskeil vor die Objektive. In dem Schema wurde auf der rechten Seite R der Keil weggelassen, um in Gegenüberstellung den Bildstrahlenverlauf mit und ohne Keilvorsatz deutlich zu machen. Mit den Keilen fängt man gleichsam die Bildstrahlen auf und zwingt sie, in einer anderen Richtung weiter zu laufen. Der von dem Nahpunkt N ausgehende Bildstrahl Sl, der beim Durchtritt durch den Keil Kl zweimal gebrochen wird, geht nunmehr wie ein Bildstrahl eines Fernpunktes senkrecht durch den Mittelpunkt des Objektivs Ol und trifft unmittelbar rechts neben der Mitte des Halbbildfensters Bl auf die Bildebene E. Durch Vorschalten von 2 identischen Glaskeilen vor die Stereoobjektive läßt sich also der sonst unweigerlich eintretende Bildverlust und die damit zwangsläufig verbundene Formatverkleinerung vermeiden.

Ist der Winkel, den die beiden Keilflächen einschließen klein, so ist auch die Ablenkung y gering, die die Bildstrahlen durch die zweimalige Brechung erfahren. Bei Dingweiten (Objektentfernungen) von 2 und 1 Meter beträgt die erforderliche Ablenkung nur wenige Winkelminuten und die Vorsatzkeile sind so flach, daß sie keinerlei Einfluß auf die Bildgüte haben und das Auftreten einer chromatischen Aberration nicht zu befürchten ist. Auch die Lichtstärken der Objektive werden durch die Vorsatzkeile kaum verändert, so daß eine Belichtungsverlängerung praktisch nicht in Frage kommt.

Der neue Zeiss-Vorsatz für Nahaufnahmen mit 2 identischen vergüteten sehr flachen Glaskeilen ist für Aufnahmeentfernungen von 2 1/2 bis 1 Meter bestimmt. Das Gerät ist klein, leicht, handlich und läßt sich mit einem Griff fest auf die Objektivfassungen stecken. Die Festlegung des Bildinhaltes erfolgt in dem in die Kamera eingebauten Fernrohrsucher, dessen durch eine Kurve bis auf die Einstellentfernung von 1 Meter gesteuerter Parallaxenausgleich vollautomatisch ist.

Was ist nun bei stereoskopischen Nahaufnahmen zu beachten? Zunächst ist von ausschlaggebender Wichtigkeit die Einhaltung der stereoskopischen Tiefenzone. Während bei stereoskopischen Normalaufnahmen der gesamte Raum von etwa 3 Meter bis unendlich aufgenommen werden kann, macht sich bei stereoskopischen Nahaufnahmen bereits bei Dingweiten zwischen 3 und 1 Meter eine Begrenzung bzw. Verkürzung der Tiefe des Abbildungsraumes erforderlich . Allein maßgebend für die Berechnung der Raumtiefe oder Tiefenzone ist die Aufnahmeentfernung bis zum Nächstpunkt des Vordergrundes.

Ich will den Praktiker mit Formeln und geometrischen Figuren verschonen und hier nur die zu den hauptsächlichsten Nächstpunktentfernungen gehörigen zulässigen Raumtiefen in einer Tabelle angeben.

Nächstpunktentfernung   Zulässige Tiefenzone
      2,5 m                9  m
      2  m                3,5 m
      1,5 m                1,5 m
      1  m                0,5 m


Diese Tabelle genügt für das praktische Arbeiten mit dem Keilvorsatz vollkommen, da sich geringfügige Überschreitungen der jeweils zulässigen Tiefenzonen im Raumbild kaum störend auswirken. Unterschreitungen schon gar nicht. Aber natürlich würde es unweigerlich zu einem Zerfall des Raumbildes in Doppelbilder führen, wenn wir beispielsweise eine Brunnenfigur aus einer Entfernung von 1 Meter aufnehmen und gleichzeitig weit dahinter stehende Gebäude in breiter Front mit abzubilden. Bei Nahaufnahmen sind hier dem Raumbild in bezug auf seine Raumtiefe gewisse Grenzen gezogen, deren Einhaltung den Anfänger vor enttäuschenden Mißerfolgen bewahrt.

Eine weitere Voraussetzung für das Zustandekommen eines guten Raumeindruckes ist eine gestochene Bildschärfe, die sich über den ganzen Abbildungsraum erstrecken muß. Bei der großen Tiefenschärfe der kurzbrennweitigen Objektive ist diese Bedingung in jedem Fall auch ohne starkes Abblenden leicht zu erfüllen. Zur bestmöglichsten Verteilung es Tiefenschärfenbereiches ist die Entfernung am Objektivring der Kamera nicht auf den Nächstpunkt, sondern auf einen markanten Punkt etwa im ersten Drittel des Aufnahmeraumes einzustellen. Dem im Entfernungsschätzen Ungeübten sei die Benutzung eines optischen Entfernungsmessers empfohlen.

Alle die hier angestellten Erwägungen und ihre Beachtung bei den Aufnahmen schärfen und vertiefen den Raumsinn, der nun einmal zum Stereoskopieren gehört. Neben praktischen Ratschlägen sichert ein wenig Theorie, wenn sie auch , wie schon Goethe wußte, noch so grau ist, den Erfolg. Am besten schult der Anfänger sein Raumempfinden an einem für Nahaufnahmen charakteristischen Bildbeispiel. Das hier beigegebene Stereobild wurde mit dem Keilvorsatz an der Belplasca aufgenommen und das Stereokleinbildformat 41 x 101 mm auf das Stereogroßformat 6 x 13 cm vergrößert, um nach Möglichkeit zu vermeiden, daß durch das Druckraster allzuviel Feinheiten verlorengehen. Das Bild wurde auf dem Freigelände der Technischen Messe in Leipzig freihändig aufgenommen und auf dem neuen Dekopan-Ultra-Film 24/10° DIN bei Blende 1 : 11  1/50 Sekunde belichtet. Die Nächstpunktentfernung beträgt 1 Meter und die Raumtiefe vom Nächstpunkt an gerechnet etwa 1/2 Meter. Die zusammengehörigen stereoskopischen Halbbilder wurden in richtiger Rahmenlage montiert und verschmelzen bei stereoskopischer Betrachtung mühelos zu einem Raumbild. Dabei entwirrt sich das Durcheinander von Schrauben, Muttern, Drähten, Hebeln, Zahnrädern usw. des Bulldog-Motors zu eindrucksvoller Klarheit und läßt die Konstruktion und Funktion deutlich erkennen. So wird ganz besonders die stereoskopische Nahaufnahme zu einem idealen Bildmaterial für den Anschauungsunterricht. Dabei ist eine Vergrößerung des Belplasca-Originalformates, wie sie hier lediglich aus drucktechnischen Gründen vorgenommen wurde, nicht erforderlich, da für die Betrachtung des stereoskopischen Kleinbildformates 41 x 101 mm das vorzügliche, leichte und handliche Belcaskop zur Verfügung steht, in dem die in das justierte Diarähmchen eingesetzten Halbbilder mühelos zu einem naturgetreuen Raumbild verschmelzen. Auch wird die Fertigung eines Stereokleinbildprojektors nicht lange mehr auf sich warten lassen.

Der Zeiss-Keilvorsatz ist ein wertvolles Zusatzgerät, das den Arbeitsbereich der Belplasca wesentlich erweitert. Allerdings können nicht alle Stereonahaufnahmen damit erfaßt werden, soweit sie überhaupt für Stereokameras mit festem Objektivabstand in Frage kommen. Aufnahmen mit Dingweiten zwischen 1 m und 25 cm erfordern Proxarlinsen und Drehkeile mit veränderlicher Bildstrahlenablenkung. Da diese Drehkeile auf bestimmte Dingweiten innerhalb des Greifbereiches einstellbar sein und außerdem der Bildinhalt mit einem parallaxenfreien Spezialsucher erfaßt werden müßte, ist wohl vorerst schon aus wirtschaftlichen Gründen an die Konstruktion und Serienherstellung eines derartigen Universalvorsatzgerätes nicht zu denken.

Aus DIE FOTOGRAFIE , Heft 7, Juli 1956 (© Text überarbeitet von D. Schulte)